Juden in Schleswig-Holstein und Hamburg II: Familie Cohen aus Meldorf, Besuch der jüdischen Friedhöfe in Friedrichstadt

Mein Fitnesstraining, welches ich aktiv seit etwa sieben Monaten betreibe und wodurch ich bis jetzt in demselben Zeitraum 40,4kg abgenommen habe, raubt eine Menge Zeit, zumal ich jeden Abend mindestens zwei, eher drei Stunden, trainiere. Mein Trainingsrhythmus lautet "Drei Tage hartes Training - ein Tag Frei - ...". Gestern hatte ich wieder meinen fitnessfreien Tag. Da ich nicht so wirklich wusste, was ich mit der ganzen freien Zeit anfangen soll, zumal der Lockdown II einen auch nur wenige Freizeitoptionen übrig lässt, entschied ich mich dazu, mit meiner Spurensuche zum Thema "Jüdisches Leben in Schleswig-Holstein und Hamburg" fortzufahren. Dabei stieß ich dann auf die jüdische Familie Cohen aus Meldorf und besuchte die beiden jüdischen Friedhöfe in Friedrichstadt (Kreis Nordfriesland, Schleswig-Holstein)


Die Familie Cohen aus Meldorf

Während meiner Online-Recherchen stieß ich dann auf eine weitere bekannte wohlhabende jüdische Familie aus dem Kreis Dithmarschen, genauer gesagt auf die Familie Cohen aus Meldorf. Meine Recherchen haben folgende Familiengeschichte ergeben:

Zwischen 1800 und 1863 hat es hier im Süden Dithmarschens, damals Kreis Süderdithmarschen, eine kleine Gruppe von Juden gegeben. An der gesamten Westküste betrug der jüdische Bevölkerungsanteil immer unter 1%. Über die Familie Cohen aus Meldorf ist kaum etwas rauszufinden. Lediglich das aktuell leider vergriffene Buch "Juden in Süderdithmarschen" von Dr. Marie-Elisabeth Rehn berichtet über diese Familie, die sehr wohlhabend gewesen sein soll. 

Die einzige Person, die man im Internet findet und die dieser jüdischen Familie angehört, ist die Dichterin Minna Kleeberg, geborene Cohen (*21.07.1841, Elmshorn - +31.12.1878, New Haven, Connecticut, USA). In den 1860ern und 1870ern erwarb sie sich in den USA einen guten Ruf als Dichterin, die sich auch für Frauen- und Bürgerrechte einsetzte. Sie starb mit nur 38 Jahren in New Haven im US-Bundesstaat Connecticut, wo sie nach ihrem Tod auf dem Mishkan Israel Cemetary beigesetzt wurde. Schon ihr Urgroßvater versuchte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts von Elmshorn aus in Meldorf als Kaufmann niederzulassen. Er schaffte es, den Landvogt Heinrich Christian Boie von sich zu überzeugen, aber erst sein Sohn erhielt 1917 vom dänischen König die Sondererlaubnis, sich als erster Jude in diesem christlichen Flecken von Süderdithmarschen das Bürgerrecht erkaufen zu können. Dessen Sohn wiederum studierte in Kiel Medizin und kehrte mit der von finanziellen Problemen geplagten Familie nach Elmshorn zurück, wo er als angesehener Arzt sofort in den Vorstand der örtlichen jüdischen Gemeinde gewählt wurde. Dr. Marcus Cohens Tochter Minna wurde äußerst umfassend und liberal erzogen. Mehr ist aktuell nicht über diese Familie herauszubekommen. Es ist ohne das Buch "Juden in Süderdithmarschen" nicht herauszubekommen, ob die Familie später insgesamt wohlhabend wurde oder nur einzelne bzw. ein einzelner Vertreter der Familie. 

Erst 1863, als Süderdithmarschen dann dem Herzogtum Holstein angehörte, erhielten auch die Juden aus dieser Region das gesetzlich verbriefte Grundrecht auf berufliche Mobilität und Freizügigkeit - bis dahin durften sie lediglich an einigen wenigen Orten (wie Altona, Elmshorn, Friedrichstadt und Glückstadt) leben, wo sie dann lediglich als Hausierer oder Händler arbeiten durften und sich ständig gegenseitig Konkurrenz machten.


Über die jüdische Gemeinde in Friedrichstadt

Eingangsbereich der Synagoge
in Friedrichstadt um 1900
(Bildquelle: jüdische-gemeinden.de)
Im heutigen Kreis Nordfriesland waren bis zum Ende des 18. Jahrhunderts keine Juden ansässig. Lediglich in der 1621 von niederländischen Glaubensflüchtlingen gegründete "Holländer-Siedlung" Friedrichstadt lebten seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts Juden. Damals gehörte Friedrichstadt noch zum dänischen Reichsgebiet wo die jüdische Gemeinde in Friedrichstadt zu ihrer Hochzeit 1850 um die 500 Angehörige zählte und war damit eine der größten jüdischen Gemeinden im dänischen Staatsgebiet des dänischen Königreichs. Um 1675 siedelte sich erstmal ein jüdischer Händler namens Moses Marx an, dem von Herzog Friedrich III. das recht auf freie Religionsausübung zugestanden wurde. 

Ab 1708 war Friedrichstadt der einzige Ort in den Herzogtümern Schleswig und Holstein, in dem Juden leben konnten. Ihre Anzahl wurde nicht beschränkt, zudem durften sie auch Grundbesitz erwerben und freien Handel betreiben. Erst im 19. Jahrhundert eröffneten jüdische Kaufleute eigene Geschäfte in Friedrichstadt. Zu den ersten gottesdienstlichen Versammlungen trafen sich die anfangs kleine jüdische Gemeinschaft zuerst im Hause von Moses Markus Levy in der Prinzenstraße, bis die jüdische Gemeinde 1734 ein Haus an der Ecke Fürstenburgwall/Binnenhafen erwarb und dieses dann als Synagoge nutzte. 

Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die jüdische Gemeinde - nach der evangelisch-lutherischen - zur zweitgrößten Religionsgemeinschaft des Ortes. Im Dezember 1847 wurde dann ein größerer Synagogenneubau von der inzwischen auf 400 Mitgliedern angewachsenen jüdischen Gemeinde eingeweiht, wo der Altonaer Oberrabbiner Jakob Ettlinger im Beisein regional bekannter und angesehener christlicher Persönlichkeiten die Weihepredigt. Durch ein Legat des dänischen Residenten in Hamburg, Hartwig Herz von Essen (Isaac Hartwig) konnte sich die Gemeinde diesen Neubau leisten. Religiös-rituelle Aufgaben erledigte ein von der jüdischen Gemeinde angestellter Lehrer, zeitweilig auch ein gleichzeitig angestellter Schochet, ein ritueller Schlachter. Beiderseits der Synagoge lagen eine jüdische Schule und das Rabbinatsgebäude. Nach dem Tode des Elementarlehrers im Jahre 1886 wurde die Schule geschlossen, die Schüler wechselten entgeltlich auf die lutherische Schule. Gegen Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dann wieder eine jüdische Schule ins Leben gerufen. 

Mitte des 19. Jahrhunderts war jeder fünfte Einwohner von Friedrichstadt Jude; religiös oder rassisch geprägte Konflikte gab es so gut wie nicht. 1871 bekleidete der Kaufmann Simon Benjamin als erster jüdischer Einwohner ein öffentliches Amt, nachdem er in die Stadtverordneten wählte. 

In den 1920er-Jahren wurde die jüdische Gemeinde dann nahezu bedeutungslos. Zum Zeitpunkt des Boykotts am 01.04.1933 gab es vermutlich nur noch fünf jüdische Geschäfte in Friedrichstadt. 1935 wurde die Agitation gegen die Restbestände jüdischen Lebens dann verstärkt, zur Zeit des Novemberprogroms 1938 gab es noch kaum mehr als 20 jüdische Einwohner. Am 10.11.1938 setzten aus Husum kommende SA-Kräfte die Friedrichstädter Synagoge mit einer Explosion in Brand. Der Bürgermeister der Stadt veranlasste die Löschung des Gebäudes um die nahestehenden Gebäude nicht zu gefährden. Anschließend zog der SA-Trupp, dem sich auch SS-Angehörige aus Flensburg und Husum anschlossen, durch die Stadt um die wenigen noch verbliebenen jüdischen Geschäfte und Wohnungen zu demolieren und zu plündern. 

Nach der Festnahme der Friedrichstädter Juden und ihrer Arrestierung im Rathaus, wurden diese dann nach Flensburg gebracht, wovon die meisten wiederum nach einigen Tagen nach friedrichstadt zurückkehren konnten; einzelne Juden wurden in das KZ Sachsenhausen deportiert. Nach den Ereignissen vom 10.11.1938 verließen fast alle Juden Friedrichstadt, wovon nur wenigen die Emigration ins Ausland gelang. Die meisten Juden aus Friedrichstadt zogen in das von ihnen als sicher geglaubte Hamburg, von wo aus dann ab 1942 die Deportation in die Ghettos und Vernichtungslager im vom Hitler-Deutschland besetzten Osteuropa erfolgte. 

Laut der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem fielen nachweislich 60 gebürtige bzw. länger in Friedrichstadt ortsansässig gewesene Juden dem Holocaust zum Opfer. Nur wenige Friedrichstädter Juden sollen den Holocaust überlebt haben. In Friedrichstadt erinnern heute etwa 25 Stolpersteine an die Opfer des Nationalsozialismus aus diesem Ort. 


Besuch des alten und neuen jüdischen Friedhofs in Friedrichstadt 

Friedrichstadt hat gleich zwei jüdische Friedhöfe, die ich mir gestern genauer angeschaut habe. Zuerst schaute ich mir den neueren Friedhof an, danach den ca. 700 Meter entfernten älteren Friedhof (Lage zwischen den Straßen "Am Treenefeld" und "Flachsblumenstraße"), der erstmals 1677 erwähnt aber erst 1713 von der damals existierenden jüdischen Gemeinde Friedrichstadt gekauft wurden sein soll. Im Herbst 1850 wurde der alte Friedhof erstmalig schwer beschädigt, da die Grabsteine bei der Belagerung der Stadt durch die schleswig-holsteinische Armee den dänischen Truppen als Deckung und Verteidigung dienten.

Der Friedhof war lange Zeit der einzige im Norden von Schleswig-Holstein; trotz mehrmaliger Erweiterung erwies er sich bereits im Jahre 1887 als zu klein, wurde aber mindestens noch bis 1912 benutzt. Es musste also ein neues Friedhofsgelände her. 

1878/1888 wurde dann der neue jüdische Friedhof mit Taharahaus (Leichenwaschraum) unmittelbar am lutherischen Friedhof angelegt. 1936 mussten die ortsansässigen Juden die Grabsteine auf die Gräber legen und vergraben. Nach der Einebnung diente der Friedhof als Kleingartenanlage und danach als Lagerplatz für Baumaterialien. Von ursprünglich 55 Grabsteinen wurden nur 17 wieder aufgefunden und in einem Halbkreis; die restlichen Grabsteine wurden wahrscheinlich während der Nutzung als Kleingartenanlage bei Gartenarbeiten zerstört. Hier fand ich übrigens auch das Grab der jüdischen Textilhändler Auguste und Samuel Stillschweig aus Heide, deren Kinder alle in Konzentrationslagern vergast wurden. Die letzte Beisetzung fand hier im Jahre 1940 statt, den Nationalsozialismus hat dieser Friedhof überstanden. Mehr konnte ich leider noch nicht rausfinden. 


Bilder vom neuen jüdischen Friedhof


Taharhaus

















Bilder des Grabes von Samuel und Auguste Stillschweig aus Heide



Bilder vom alten jüdischen Friedhof









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