"Mein" Wado-Ryu Karate und Jiu-Jitsu


Schon als Kind interessierten mich die alten Eastern-Filme so sehr, dass ich tagsüber die Fernsehzeitungen studierte, um mir rechtzeitig den Wecker stellen zu können, damit ich mir die alten Kung Fu-Filme angucken konnte, ohne das meine Eltern das mitbekommen. Ich war gerade elf Jahre alt, als dieses Interesse anfing. 

Irgendwann nervte ich meine Eltern dann so lange, bis sie mir erlaubten Kampfsport machen zu dürfen. Kampfsport ist zwar der bekannteste Sammelbegriff für Sportarten wie Aikido, Kickboxen, Iaido und Kalarippayat, streng genommen sind aber sportliche bzw. versportlichte Kampfsysteme, wie Boxen, Kickboxen, Thaiboxen, wettkampforientiertes Karate u.ä. als Kampfsport zu bezeichnen, da hier überwiegend der Wettkampfaspekt zählt, während bei Kampfkünsten, wie z.B. traditionelles Karate, Kung Fu, Krabi Krabong, Kalarippayat, Iaido, Kobudo, Tai Chi, Kyudo u.ä. der Schwerpunkt auf Aspekte wie Persönlichkeitsentwicklung, Perfektion und z.T. auch Dinge wie Meditation, Heilkunde u.ä. liegen. Mischformen kommen natürlich vor und sind vor allem abhängig vom Trainer. Wie auch immer...!

Mein Hauptinteresse galt dem Kung Fu, doch trotz intensiver Suche fanden meine Eltern im Umkreis von 80km keinen Trainingsort an dem ich hätte Kung Fu lernen können. Einige Wochen später lagen dann bei uns in der Schule Flyer einer Kampfsportschule aus Brunsbüttel aus. Dort konnte man zwar kein Kung Fu lernen, aber Jiu-Jitsu, Kickboxen und Thaiboxen. Meine damaligen besten Freunde - eineiige Zwillinge - trainierten dort bereits Jiu-Jitsu, was meine Begeisterung nach dem ersten Training sicherlich auch mit beeinflusst hat. Nach einem Monat Probetraining meldete meine Mutter zuerst mich und später auch meine Schwester zum Training an. Zur Info: Jiu-Jitsu und Ju-Jutsu sind trotz derselben Kanjis zwei unterschiedliche Kampfkünste. Während Ju-Jutsu in Deutschland aus diversen anderen Kampfkünsten entwickelt wurde (und auch von der Polizei verwendet wird), wurde das Jiu-Jitsu von Erich Rahn aus Japan nach Deutschland gebracht. Jiu-Jitsu ist das waffenlose Selbstverteidigungssystem der Samurai. Oberste Prämissen: Siegen durch nachgeben und effektive Verteidigung bei Verlust seiner Waffen. 

Nachdem meine Schwester und ich in dieser Schule den 3. Kyu (Grüngurt) erreicht haben, kündigte der Trainer, der auch der Inhaber war, die Schließung an und empfahl uns dann die Schule seines Lehrers in Itzehoe, wohin wir dann auch wechselten. Meine Schwester hörte kurz danach auf mit dem Jiu-Jitsu, ich blieb noch etwas dabei. Nachdem ich den 2. Kyu (Blaugurt) erreichte, hörte ich dann auch auf. 

Drei Jahre später fing ich dann wieder in einem anderen Verein mit dem Jiu-Jitsu an, machte den 1. Kyu (Braungurt) und musste den Verein dann aufgrund einer heftigen Auseinandersetzung, die ich jedoch nicht angezettelt aber gewonnen habe, den Verein verlassen. Daraufhin trat ich dann in einen neuen Verein von einem meiner alten Trainer ein und habe es mittlerweile zum 3. Dan geschafft. 

2012 wollte ich dann nochmal etwas Neues beginnen. Jetzt interessierte ich mich auch für Karate. Zuerst informierte ich mich bei Google, doch sah dann sehr schnell ein, dass Karate nicht gleich Karate ist. Die unzähligen Stil-Neugründungen haben mich nie interessiert, also beschränkte ich mich auf die vier großen traditionellen Stile Shotokan, Goju-Ryu, Shito-Ryu und Wado-Ryu, sowie die weniger bekannten Stile Shorei-Ryu, Shorin-Ryu, Uechi-Ryu, Kyokushin und Kyokushin Budokai Karate.

Ich war lange am überlegen, welchen Stil ich denn nun trainieren soll. Hier auf dem Land ist die Auswahl nicht gerade groß, ich konnte lediglich zwischen den Stilen Goju-Ryu Yuishinkan, Shotokan und Wado-Ryu wählen. Bevor ich darauf eingehe, möchte ich erste auf die Stilcharakteristika eingehen:

Shotokan (dtsch. Pinienrauschen)

Dieser Stil wurde von Gichin Funakoshi begründet und ist die am weitesten verbreitete Karate-Stilrichtung. Die Stände sind tief, da so besonders dynamische und kraftvolle Bewegungen ermöglicht werden sollen. Im Gegensatz zum Goju-Ryu und Shito-Ryu werden die Drehungen vom hinteren Fuß initiiert. Einige Techniken des Shotokans unterscheiden sich von anderen Stilen. Ein Beispiel hier wäre die Ausholbewegung beim Gedan Barai. Dieser Unterarmblock wird auf Ohrenhöhe geholt, während er im Wado-Ryu z.B. aus der Armbeuge kommt. Im sportlich orientierten Shotokan Training sind Tritte zum Kopf recht häufig.


Goju-Ryu (dtsch. harter und weicher Stil) und Goju-Ryu Yuishinkan (dtsch. Haus des Geistes)

Dieser Stil wurde von Choyun Miyagi begründet und beinhaltet Elemente des chinesischen Boxens und hat daher eine lange bis nach China zurückreichende Tradition. Eine Unterströmung st das Yuishinkan Goju-Ryu, welche für ihr hartes Ausdauertraining bekannt ist, sowie besondere Kumite-Formen, bei denen der Angreifer gewinnt, sowie Würfe, Fußfeger und Hebel. Die Kata, eine Art choreografierte Abfolge von Techniken und Schritten, zeichnen sich durch dynamische, kreisförmige Bewegungen und stabile Stände aus, sowie die Verwendung von Pressatemtechniken und intensives Training des Tai Sabakis ("klebende Hände").


Wado-Ryu (dtsch. Weg des Friedens)

Dieser Stil wurde von Hironori Otsuka, einem Schüler des Shotokan-Begründers Gichin Funakoshi, entwickelt. Otsuka war trainierte nicht nur Karate bei Gichin Funakoshi, sondern auch Shindo Yoshin-Ryu Jujutsu. Der von Otsuka geschaffene Stil verbindet also das Karate von Funakoshi mit Elementen des Shindo Yoshin-Ryu Jujutsu's. Da Otsuka auch die Bewegungen alter Menschen studiert hatte und zu der Erkenntnis kam, dass diese jede unnötige Bewegung vermeiden, die Bewegungen also vor allem ökonomisch sind, weist das Wado-Ryu Karate einige Besonderheiten zu andern Stilen auf. Diese besonderen drücken sich wie folgt aus:

  • Jede Technik beinhaltet auch immer eine Änderung der Stellung und Gewichtsverlagerung des Körpers
  • Vermeidung falscher oder überflüssiger Techniken, überflüssiger Bewegungen und überflüssigen Kraftaufwands
  • Kontrolle des eigenen Schwerpunkts
  • Verlassen der Angriffslinie durch Ausweichen
  • Abwehr und Konter eines Angriffs erfolgen gleichzeitig
  • Techniken sind auf vitale Körperpunkte des Angreifers gerichtet
  • Fließende Übergänge zwischen den einzelnen Techniken
Aufgrund der Jujutsu-Komponennt gilt auch im Wado-Ryu, dass die Energie des Angriffs durch Umlenken und Ausweichen ins Leere gelaufen lassen und anschließend oder gleichzeitig durch Hebel-, Wurf-, Tritt- oder Schlagtechniken gekontert wird. Eine weitere Besonderheit dieses Stils ist auch gleichzeitig eine Art Erbe des Shindo Yoshin-ryu Jujutsus: Das Tanto Dori, die unbewaffnete Abwehr von Techniken mit einem japanischen Dolch (Tanto). 

Optisch fällt der hohe Stand des Karatekas auf, sowie das leichtere, weniger kraftvolle Erscheinungsbild und ökonomische Bewegungen im Vergleich zu anderen Stilen. All dies bewirkt jedoch nicht, dass die Techniken dadurch an Effektivität verlieren.


Lange habe ich also überlegt und auch einiges ausprobiert. Bei Shotokan störten mich aufgrund einiger Gelenkprobleme die tiefen Stände und die häufig anzutreffende Versportlichung des Shotokans. Am Goju-Ryu hatte ich ebenfalls Probleme mit einigen Ständen dieser Stilrichtung, sowie mit der Pressatmung. Im Wado-Ryu fand ich dann alles was ich gesucht habe, nämlich hohe Stände, keine übertriebenen Techniken, keine sinnlosen Bewegungen, Verbindung der Philosophie und Kampfkunst des Karates mit den Prinzipien des Jujutsus. Aufgrund meiner Jiu Jitsu-Vorbelastung waren mir einige Bewegungsabläufe dann auch nicht mehr ganz fremd. Also trat ich einem Verein bei und bin bis heute dabei geblieben.


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